Die versicherungsmathematische Zillmerung
Das Zillmerverfahren (Zillmerung, Zillmerungsverfahren) ist ein versicherungsmathematisches Verfahren, das von August Zillmer (1831-1893) entwickelt wurde. Die Zillmerung ist das in Deutschland am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Verteilung der beim Abschluss von Versicherungen entstehenden Kosten und zur Ermittlung von Deckungsrückstellungen für klassische Lebensversicherungen sowie für die Alterungsrückstellungen für Krankenversicherungen. Die Zillmerung ist nicht anwendbar bei einer nicht traditionell ausgestalteten Versicherung. Die auf der Passivseite der Bilanz von Versicherungsunternehmen verbuchten Deckungsrückstellungen dienen der Sicherung der Ansprüche der Versicherungsnehmer. Versicherungsgesellschaften müssen Deckungsrückstellungen in Höhe ihrer Verpflichtungen aus Versicherungsverträgen bilden.
Zillmerung: Zweck, Durchführung und Rechtsprechung
Bei Abschluss einer Versicherung entstehen Kosten für die Risikobeurteilung durch die Versicherungsgesellschaft sowie Abschlusskosten und Provision für Vermittler beziehungsweise Makler. Würden die Abschlusskosten gleichmäßig auf die gesamte Vertragslaufzeit verteilt werden, so erhielten Versicherungsunternehmen und Vermittler beziehungsweise Makler meistens erst nach vielen Jahren und nur dann die vollen Abschlussgebühren, wenn der Versicherungsnehmer die Beiträge für seine Lebensversicherung tatsächlich für die gesamte Vertragslaufzeit erbringt. Mehr als die Hälfte der Lebensversicherungen wird jedoch vor dem vertraglich vereinbarten Laufzeitende gekündigt oder beitragsfrei gestellt. Müsste hingegen der Kunde die Abschlusskosten als Einmalbetrag zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aufbringen („volle Zillmerung“), so wären die Versicherungsgesellschaften verpflichtet, bei Versicherungsabschluss auf die einmaligen, hohen Kosten hinzuweisen. Gegebenenfalls müsste der Kunde die Abschlusskosten sogar in einem Betrag aus seiner freien Liquidität erbringen. Dies aber würde zahlreiche Verbraucher vom Abschluss einer Lebensversicherung abhalten. Eine Abrechnung der Abschlusskosten als Einmalbetrag liegt daher nicht im Interesse der Versicherer.
Besondere Regeln bei der Zillmerung
Beim Verfahren einer teilweisen Zillmerung werden die Kosten, die beim Abschluss einer Versicherung entstehen, auf einen größeren Zeitraum verteilt (meist fünf Jahre). Die Versicherungsgesellschaft finanziert also bei teilweiser Zillmerung die Abschlusskosten vor und erhält sie mit den regelmäßigen Versicherungsbeiträgen in Raten zurück. Im Unterschied zu der ursprünglichen Bewertungsmethodik nach August Zillmer werden die Abschlusskosten heute nicht mehr in Jahresbeiträgen, sondern als Prozentsatz aller künftigen Versicherungsbeiträge ermittelt: Der Versicherer rechnet die Abschlusskosten mit dem sogenannten „Zillmersatz“ in die Versicherungsprämien ein. Die Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV) regelt unter anderem die Zillmerung: § 4 Absatz 1 Satz 2 DeckRV bestimmt, dass der Zillmersatz 4 Prozent der während der Versicherungslaufzeit noch anfallenden Versicherungsbeiträge nicht übersteigen darf. Daher sind die Kostenanteile zu Beginn der Prämienzahlung besonders hoch. Zudem berechnet der Versicherer einen Kostenzuschlag für die Vorfinanzierung der Abschlusskosten und für den ihm zusätzlich entstehenden Aufwand. Die so ermittelte Brutto-Versicherungsprämie wird als „Zillmerbeitrag“ bezeichnet. Aus den Zillmerbeiträgen werden zunächst die Risikokosten und die anteiligen Kostenanteile beglichen. Nur der danach verbleibende Teil der Versicherungsprämie fließt als Sparbeitrag in die Deckungsrückstellung, die auch „Zillmerreserve“ genannt wird. Das um die Kostenbestandteile reduzierte Deckungskapital wird als „gezillmertes Deckungskapital“ bezeichnet.
Änderungen beim Zillmerungs-Verfahren
Früher begannen Versicherungsverträge aufgrund der bei Vertragsabschluss vollständig verbuchten Abschlusskosten (volle Zillmerung) mit einem negativen Kontostand. Erst nach vollständiger Begleichung der Abschlusskosten begann die Ansammlung von Sparkapital. Wurde also ein Vertrag vor Bezahlung der Abschlusskosten aufgelöst, so erhielt der Versicherungsnehmer trotz geleisteter Versicherungsprämien keine Kapitalrückzahlung, da kein Rückkaufswert zur Verfügung stand. Für Versicherungsverträge, die ab dem 1. Januar 2008 abgeschlossen wurden, bestimmt § 169 Absatz 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) dagegen einen Mindestrückkaufswert. Danach ist durch den Versicherer bei vorzeitiger Vertragsbeendigung „mindestens der Betrag des Deckungskapitals“ zu entrichten, „das sich bei gleichmäßiger Verteilung der Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre ergibt“. Für Versicherungsverträge, die bis Ende 2007 abgeschlossen wurden, gilt zwar nicht § 169 Absatz 3 Satz 1 VVG, jedoch hat der Bundesgerichtshof für diese Verträge entschieden (BGH-Urteile vom 1. September 2013, Az. IV ZR 17/13 und IV ZR 114/13), dass mindestens 50 Prozent der verzinsten Summe des „ungezillmerten Deckungskapitals“ (gezahlte Versicherungsprämien abzüglich Risiko- und Verwaltungskosten) als Rückkaufswert in einer Versicherungspolice ausgewiesen werden müssen. In die Berechnung des ungezillmerten Deckungskapitals dürfen Abschlusskosten nicht einfließen. Anderslautende Klauseln zur Zillmerung erklärte der Bundesgerichtshof wegen unangemessener Benachteiligung der Versicherungsnehmer für unwirksam. Als Folge der Urteile des Bundesgerichtshofs zur Zillmerung erhalten Versicherungsnehmer bei Vertragskündigung eventuell einen höheren Rückkaufswert als im Versicherungsvertrag vereinbart. Der Versicherer muss daher gegebenenfalls das bislang verbuchte Deckungskapital bis auf 50 Prozent des ungezillmerten Deckungskapitals aufstocken.
Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich mit der Zulässigkeit der Zillmerung (Urteil vom 15. September 2009, Az. 3 AZR 17/09). Das BAG entschied für den Fall einer Direktversicherung durch Entgeltumwandlung, dass voll gezillmerte Versicherungstarife wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers unwirksam sind, eine teilweise Zillmerung durch Verteilung der Abschlusskosten zum Beispiel auf fünf Jahre jedoch rechtswirksam ist.
Originally posted 2014-11-29 11:52:12.