Brexit – Hintergrund, Prognose und potenzielle Folgen
Als Kunstwort bezieht sich der Begriff „Brexit“ auf den möglichen Austritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien aus der Europäischen Union – ein Thema, das bereits seit dem Beitritt des Königreichs zur EWG im Jahr 1973 zum Dauerbrenner geworden ist. Nun steht der Brexit wieder auf der Tagesordnung, am 23.06.2016 stimmten 51,9 Prozent der Bevölkerung Großbritanniens in einer Volksabstimmung für einen Austritt aus der EU – die Folgen für das Land und die EU sind bisher schwer vorhersehbar.
Brexit – keine grundlegend neue Diskussion
Schon der Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am 1. Januar 1973 war umstritten und die Diskussionen sind seither trotz wechselnder Regierungen nicht abgerissen. Auch der Vertrag von Maastricht, der die Gründung der Europäischen Union (EU) im Jahr 1992 besiegelte und den Termin für eine Währungsunion festlegte, wurde von Großbritannien nur mit der sogenannten Opt-Out-Klausel unterzeichnet. Diese eröffnete abweichend eine individuelle Entscheidung über einen Beitritt zu einer Währungsunion, der von Großbritannien nie vollzogen wurde. Es gibt demnach zwei Mitgliedsstaaten der Währungsunion, die eine andere Währung als den Euro nutzen – und das sind Großbritannien und Dänemark. Die Euroskeptiker gewannen in der Folge an Einfluss im Königreich, allen voran konnte die UKIP einen immer größeren Druck auf den damaligen Regierungschef David Cameron ausüben. Dieser initiierte daraufhin das Referendum, warb allerdings für einen Verbleib in der Europäischen Union. Nachdem sich die britischen Wähler mehrheitlich für einen Austritt des Vereinigten Königreich aus der EU aussprachen, kündigte David Cameron seinen Rücktritt für September 2016 an. Am 13. Juli 2016 trat Theresa May, die bis dato als Innenministerin amtierte, seine Nachfolge an.
Austritt aus der EU – Brexit als zwiegespaltener Weg für Großbritannien
Über Sinn oder Unsinn eines Brexit wird kräftig gestritten, zwei Szenarien sind möglich: Der wirtschaftliche Boom oder ein starker Rückgang der Wirtschaftsleistung. Das mögliche Positiv-Szenario britischer Ökonomen sagt vier Prozent Wirtschaftswachstum für die nächsten 15 Jahre aufgrund weniger Regulierungen voraus. Internationale Institute erwarten dahingegen hohe Wirtschaftseinbußen von bis zu 7 Prozent. Ebenso gespalten in Bezug auf den Brexit präsentiert sich auch die Wirtschaft Großbritanniens. Viele Unternehmen sehen eine große Chance, vor dem Hintergrund des Referendums die Beziehungen zur Europäischen Union neu zu verhandeln. Andere fürchten wiederrum einen Auftragsrückgang, da bei Einführung von Zöllen die Preise für britische Waren stark ansteigen werden.
Die Meinungen sind durchweg zwiegespalten, Fakt ist jedoch, dass zwischen vier und fünf Prozent der jährlichen britischen Wirtschaftsleistung auf die EU zurückgehen, wie der Industrieverband CBI errechnet hat. Direktor Jonathan Cridland rechnete diesen Effekt auf die Haushalte um und kam auf 4.000 Pfund, die der finanzielle Nutzen der Mitgliedschaft ausmachen würde. Laut Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman steht daher fest: „Zwei Prozent weniger Wachstum, das ist völlig klar“. Der Banker Gerard Lyons kam 2014 im Rahmen einer Untersuchung für den Bürgermeister von London ebenfalls zu einem zweischneidigen, jedoch optimistischerem, Schluss: Ein Brexit könne für Großbritannien bei der konsequenten Verfolgung einer eigenen Handelspolitik zu einem Anstieg der Wirtschaftsleitung führen – mit all den Risiken eines Misserfolgs, auf die er ausdrücklich hinwies.
Folgen des Brexit – erste Auswirkungen bereits spürbar
Theresa May formulierte im Januar 2017 erstmals in einer Rede konkrete Ziele und machte deutlich, dass sie einen harten Brexit anstrebt. Großbritannien soll demnach aus dem europäischen Binnenmarkt ausscheiden und Waren sollen zukünftig mittels eines Freihandelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU ausgetauscht werden. Dies dürfte, angesichts der Ausrichtung Großbritanniens als Finanzmarkt, zu einigen Nachteilen führen. Schon alleine die Bekanntmachung des Ergebnisses der Volksabstimmung brachte große Verunsicherung in die Märkte, das Britische Pfund fiel daraufhin auf den tiefsten Stand seit 1985. Darüber hinaus werden die britischen Banken in Zukunft von den günstigen Konditionen der EZB abgeschnitten, was wiederrum mit Sicherheit zur Zinsanhebung bei der Bank of England führen und in der Folge die Gewinne der Wirtschaft reduzieren wird. Die Geister scheiden sich natürlich an vielen einzelnen Fragen, neben einer Reihe von angestrebten einheitlichen EU-Standards spielt auch die Flüchtlingspolitik eine große Rolle: Großbritannien will keine Migranten aufnehmen und wird an dieser Stelle nicht von seiner Position abweichen.
Weitere Folgen sind ungewiss und abhängig von den Verhandlungen mit der EU über den Austritt, die bis Oktober 2018 abgeschlossen sein sollen. Bis zu dem endgültigen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union dauert es folglich noch, jedoch sind die ersten Auswirkungen schon jetzt deutlich spürbar.
Perspektive der EU nach dem Brexit
Nicht nur die Folgen für das Vereinigte Königreich sind unabsehbar, sondern auch die für die gesamte Europäische Union. Denn die europäische Gemeinschaft steckte schon vorher in einer Identitätskrise, welche vor allem durch die Griechenland- und Eurokrise noch verstärkt wurde. Europakritische Stimmen werden zusehends lauter und der Brexit ist Wasser auf den Mühlen der Austrittsbefürworter vieler weiterer EU-Länder, beispielsweise in Frankreich. Dort fordert die Vorsitzende der rechtextremen Partei Front National, Marie Le Pen, ebenfalls einen Austritt aus der EU und auch in den Niederlanden wird über einen „Nexit“ diskutiert. Doch auch außenpolitisch gesehen hat der Brexit Folgen für die EU, denn ohne Großbritannien ist die EU noch schwächer und kleiner gegenüber anderen Mächten, wie China oder den USA.
Originally posted 2017-03-07 15:42:21.